Plakatierung im öffentlichen Raum
Stadt foutiert sich um Verkehrssicherheit
4. März 02

"Die Stadt Bern lässt bei der Plakatierung auf öffentlichem Grund den Wettbewerb spielen", wurde im Januar diesen Jahres stolz kommuniziert. Zum Zug kam, wenn wudert's, die Allgemeine Plakatgesellschaft (APG), welche bereits seit Jahrzehnten über ein Quasimonopol in der Plakatbewirtschaftung auf öffentlichem Grund in der Stadt Bern verfügt.

Die neuen Wartehallen von Bernmobil werden ebenfalls von der APG gesponsort. Die APG finanziert die Wartehallen und erhält im Gegenzug sämtliche Einnahmen aus den Werbeflächen. Allerdings werden im Zusammenhang mit der Errichtung der Wartehallen auch so genannte "Kompensationsstandorte" definiert. Damit die Rechnung für die APG auch tatsächlich aufgeht, erhält sie an allen möglichen und unmöglichen Standorten zusätzliche Flächen für die Errichtung von beleuchteten Werbeflächen im Format B200 (170 x 120cm).

Ablenkung ausgeschlossen?

Bauherrschaft dieser doppelseitigen, freistehenden und beleuchteten Plakatwerbeträger ist das Tiefbauamt der Stadt Bern. Standorte, wie an der Bernstrasse (Bild), widersprechen aber klar den Vorschriften der Signalisationsverordnung des Bundes. Aus Gründen der Verkehrssicherheit dürfen an dieser Stelle gar keine Plakatflächen bewilligt werden. Trotzdem tritt das städtische Tiefbauamt wider besseres Wissen als Bauherr auf.

Sachbearbeiter resigniert
Der zuständige Sachbearbeiter beim Bundesamt für Strassen stellt resigniert fest, dass sich viele Gemeinden um die Auflagen der Signalisationsverordnung und der entsprechenden Weisungen foutieren. "Man spricht von "Vision Zero" und von der "Eliminierung von Konfliktgrün", aber der systematischen Ablenkung der Verkehrsteilnehmer durch Plakate wird Tor und Tür geöffnet".

Seit die Kantone die Kompetenzen zur Bewilligung von Plakatwerbeflächen an die Gemeinden abgegeben haben, ist ein komplettes Chaos ausgebrochen. Neue Anbieter drängen in die Städte und Ortszentren und suchen nach immer neuen Werbeflächen - auch mal im Vorgarten eines denkmalgeschützen Gebäudes. Fortschrittliche Gemeinden wie Biel oder Brügg haben mit kommunalen Reglementen Ordnung in Plakatierungssalat gebracht. Nicht so Bern: Anstatt endlich Ordnung in unsere Quartiere zu bringen, versucht der Gemeinderat vom Werbekuchen ein grösseres Stück für die Stadt abzuschneiden. Vom längst überfällige Reklamereglement, welches vorab die Wohnquartiere vor unkoordiniertem Anbringen von Plakaten schützen könnte, hört man nichts mehr. Dafür werden "Exklusivverträge" ausgehandelt.

Dutzende gesetzwidriger und illegaler Plakatflächen in Bümpliz
Stadtrat Peter Blaser hat ein imposantes Inventar zusammengetragen von unzulässigen und störenden Plakatflächen. Die Rolle der Stadt ist im Zusammenhang mit der Plakatierung eine sonderbare, tritt sie doch sowohl als Bauherr, als auch als Baubewilligungsbehörde in Erscheinung. Mit dem "Exklusivvertrag" mit der APG ist dabei aber die notwendige "Unabhängigkeit" längst nicht mehr sichergestellt. Wenn die Errichtung der Plakatstellen an der Bernstrasse mit einer Einsprache auch sicher verhindert werden kann, so kommt bereits deren Planung (wider besseres Wissen) einer Verschleuderung von Steuergeldern gleich.

An der Brünnenstrasse 31 hat die SP-Bümpliz-Bethlehem aus Gründen der Verkehrssicherheit einen Bauabschlag für einen beleuchteten Prismenwender erwirkt. Nun steht er einfach 100 m weiter östlich - rechtswidrig! Der Verslummung unserer Quartiere und der Gefährdung, vorab der schwächeren Verkehrsteilnehmer, wird weiter Vorschub geleistet.

Die Stadt Bern braucht dringend ein Reklamereglement, das Rechtsgleichheit schafft. Eine Praxis, die sich auf Einzelfälle abstützt, schafft nichts als Verwirrung. Ein entsprechendes Reglement ist in Arbeit. Beim Rechtsdienst der Direktion für Planung, Verkehr und Tiefbau (PVT) beabsichtigte man ursprünglich, dieses bis zum vergangenen Jahreswechsel in den Stadtrat zu bringen. Mit dem Reglement sollen Wohnquartiere vor Zukleisterung geschützt werden. Aber auch denkmalpflegerische Überlegungen sind Teil des Reglements.

Grundsätzlich sollten in der Stadt Bem keine weiteren Plakatstellen bewilligt werden, bis das zu erlassende Reglement endlich die erforderliche Klarheit schafft. Die kantonale Polizei- und Militärdirektion beurteilte die Bewilligungspraxis des Polizeiinspektorates im Rahmen einer Aufsichtsbeschwerde als "insgesamt unbefriedigend". "Im Hinblick auf die erwähnten Änderungen gehen wir (die kant. Polizei- und Militärdirektion) auch davon aus, dass die Praxis der Bewilligungsverfahren nun in jeder Hinsicht gesetzeskonform verlaufen wird".

Dass heute von städtischen Amtsstellen geplante, bundesrechtswidrige Plakatierungsanlagen zur Auflage gelangen, mutet etwas seltsam an.



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Das sagt das Gesetz:
Im Bereich der für Motorfahrzeuge oder Fahrräder offenen Strassen sind Reklamen und andere Ankündigungen untersagt, die zu Verwechslung mit Signalen oder Markierungen Anlass geben können oder sonst, namentlich durch Ablenkung der Strassenbenützer, die Verkehrssicherheit beeinträchtigen könnten (Art. 6 Abs.1 Strassenverkehrsgesetz).

Untersagt sind Strassenreklamen, die die Verkehrssicherheit beeinträchtigen, mit Signalen oder Markierungen verwechselt werden oder durch ihre Ausgestaltung deren Wirkung herabsetzen könnten. Unzulässig sind insbesondere Strassenreklamen im Bereich von Kuppen und Bahnübergängen sowie im Bereich von unübersichtlichen Kurven, Verzweigungen oder Engpässen (Art. 96 Abs. 1 lit. a SSV).

Innerorts müssen freistehende Plakatwerbeträger mindestens 3m vom Fahrbahnrand entfernt sein (Art. 97 Abs. 2 SSV).

Plakatwerbeträger zielen grundsätzlich darauf ab, Aufmerksamkeit zu wecken. Sie führen damit logischerweise zu einer Ablenkung der Verkehrsteilnehmer.