Grossverteiler auf dem Rückzug
Das neue "Lädelisterben"

10. Juni 02

Ohne viel Aufsehen wurde Ende Oktober die Migros-Filile an der Schlossstrasse geschlossen. Das vertraute Bild in unseren Quartieren, die Migros-Filiale wenige Schritte neben Coop, gehört der Vergangenheit an. Ging es den Grossverteilern noch vor wenigen Jahren darum, die traditionellen Quartierläden durch eigene Filialen zu verdrängen, so konkurrenzieren sich die Grossverteiler heute gegenseitig und, durch die Eröffnung immer grösserer Filialen auf der grünen Wiese (so genannte "Megastores"), zunehmend auch sich selbst.

Coop konzentriert sich auf grosse Filialen. Die kleinen Quartierfilialen haben ausgedient. Mit dem neuen Coop-Supercenter im Zentrum Bümpliz und dem etwas siffigen Heim+Hobby-Zentrum in Bethlehem ist der Markt für Coop abgedeckt. Die drei kleineren Filialen Meinegg (Stöckacker), Gäbelbach und Tscharnergut passen nicht ins Portfolio der neuen Coop.

Die Abschusskandidaten

Mit dem Zusammenschluss der regionalen Genossenschaften und Coop Schweiz zu einer einzigen Genossenschaft hat Coop auf operativer Ebene eine moderne Unternehmensstruktur mit klaren Verantwortlichkeiten und Kompetenzen geschaffen. In einem zweiten Schritt wurde nun 2001 laut dem Coop-Geschäftsbericht, auch "die volle Professionalisierung auf strategischer Ebene eingeleitet". Was die "moderne" Konzernleitung fern ab von den Kunden (sprich den Genossenschaftern) beschliesst, ist aus Sicht der Quartierbevölkerung wenig erfreulich.

Mehr Umsatz - weniger Ladenlokale
Die Supermärkte sind das eigentliche Kerngeschäft von Coop. Diese erzielten im letzten Jahr mit einem Umsatz von 8,8 Milliarden Franken ein Wachstum von 3,2%. Die Verkaufsfläche sank gleichzeitig von 704'020 m2 auf 697'701 m2 und die Anzahl der Verkaufsstellen nahm gleichzeitig um 30 Filialen ab.

Das neue Ladenkonzept beinhaltet die Einteilung der Verkaufsstellen entsprechend ihrer Fläche in drei Grössenklassen. So wird künftig zwischen den Ladenformaten Typ A (ab 200m2), Typ B (ab 600m2) und Typ C (ab 1'500m2) unterschieden. Damit sich die Coop-Kunden in allen Filialen auf Anhieb zurechtfinden, ist die Abfolge der Warenmodule für alle drei Typen identisch.

"Coop ist bestrebt, den Bau grösserer Verkaufsstellen zu fördern, um ihren Kundinnen und Kunden ein grosszügiges Platzangebot und ein breites Sortiment, vor allem an Frischprodukten, bieten zu können." liest man im Geschäftsbericht. Rückzug aus der Fläche, dafür Megastores am Stadtrand (z.B. Wankdorf-Stadion) und C-Formate (ab 1'500 m2 (z.B. Coop Bümpliz), sind das Ziel. Kleinere Geschäfte sind ländlichen Gemeinden und Tourismusorten vorbehalten. Wobei es bei letzteren weniger um die Versorgung der ländlichen Bevölkerung gehen dürfte, als darum, die "treuen" Coop-Kunden auch in den Ferien bei der Stange zu halten. Kommerziell hoffnungslose Experimente, wie der Coop-Railshop, werden gleichzeitig aus Marketinggründen bar jeglicher betriebswirtschaftlichen Vernunft bis zum Verroten der Waren in den Verkaufsregalen weiterbetrieben.

Quartierkommission wird aktiv
Die Quartierkommission Bümpliz/Bethlehem (QBB) will handeln: «Wir sind sehr besorgt über die mögliche Schliessung der drei Coop-Filialen in Bern West», sagte QBB-Sekretär Hans Stucki gegenüber der Berner Zeitung. Die Auszugspläne der Filiale in der Ladenstrasse Gäbelbach sind seit längerem bekannt. Dem Vernehmen nach sind nun aber auch die Coop-Läden im Tscharnergut und im Stöckacker bedroht. «Für ältere und gebrechliche Leute sind längere Einkaufswege eine Zumutung», sagt Hans Stucki. Eine erste Aussprache zwischen einer Delegation der QBB und Vertretern der Coop hat stattgefunden. Die QBB will öffentlichen Druck aufbauen, damit die Grundversorgung in den Quartieren weiterhin sichergestellt ist.

Ladenstrasse Gäbelbach - der erste Effekt von West-Side
Das neue Freizeit- und Einkaufszentrum der Migros in Brünnen zeigt erste Folgen. Die Ladenstrasse im Gäbelbach dürfte neben dieser Konkurrenz kaum eine Überlebenschance haben.
Die Sanierung der Ladenstrasse ist auch für die Eigentümerin Gäbelbach Immobilien AG (Gäbag) unbestritten. «Die Erträge sind in letzter Zeit tendenziell gesunken», wie Geschäftsführer Rolf Schneider auf Anfrage erklärt. Seit kurzem sei auch klar, «dass die Coop-Filiale einen Wegzug prüft».
Für Schneider ist klar: «Das heutige Konzept der Ladenstrasse ist nicht mehr überlebensfähig, wenn Brünnen kommt.»

Ein Umgestaltungsprojekt der Gäbag sieht gemäss Schneider eine Aufstockung der heutigen Ladenstrasse vor, um die Anbindung an den Ansermetplatz in Brünnen «sicher zu stellen». Das Projekt beinhalte zudem Pläne für die Kindertagesstätte und den Kindergarten, die verschoben werden müssten.

Allerdings: Die Eröffnung eines Einkaufszentrums (Brünnen) ist nach kantonaler Bauverordnung unzulässig, wenn sie voraussichtlich in seinem Einzugsbereich zu einem erheblichen Verlust örtlicher Einkaufsmöglichkeiten führen würde und dadurch die tägliche Versorgung der nicht mobilen Bevölkerung, insbesondere der alten, gebrechlichen oder kranken Personen, nicht mehr gewährleistet wäre. Es dürfte demnach paradoxerweise gerade die Migros grosses Interesse daran haben, dass die Ladenstrasse im Gäbelbach "überlebt". Denn, gehen die Läden im Gäbelbach zu, ist die Baubewilligung für West-Side in Frage gestellt.

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Rückzug der Grossverteiler aus der Fläche. Eine Folge von Shoppyland & co?